„Weder Zirkusdirektor noch Löwendompteur“

Rainer Wetzler offiziell als Stiftungsvorstand und Schulleiter der Urspringschule eingesetzt

Von Alexander Bahar unter Mitarbeit von Heinz-Wilhelm Schäbe

Der letzte Schultag vor den inoffiziellen baden-württembergischen Faschingsferien endete für die Schülerinnen und Schüler der Urspringschule deutlich früher als gewöhnlich. Grund für die vorzeitige Entlassung in die Ferien war die offizielle Amtseinsetzung von Dr. Rainer Wetzler als Schulleiter und Stiftungsvorstand der Stiftung Urspringschule. Zahlreiche Gäste von nah und fern gaben sich dabei die Ehre.

Den Beginn des Festaktes markierte die Interpretation des Stücks „Look at the World“ von John Rutter durch den Urspringer Projektchor – einem gemischten, von Schülern und Lehrern besetzen Chorensemble – unter der Leitung von Kantor Achill Stein.

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Die gekonnt und dezent vorgetragene, dabei etwas harmonieselige Weise wurde illustriert von gleichfalls ganz auf eine heilere Welt setzenden Videosequenzen aus der scheinbar unberührten Flora und Fauna unseres Planeten.

Magischer Ort

In seinen anschließenden einleitenden Worten bezeichnete der Stiftungsratsvorsitzende Thomas Palm Urspring als „magischen Ort“ und erinnerte an die „umstrittene“ Gründung der Urspringschule durch Bernhard Hell am Ende der Weimarer Republik, die Palm ein „gewagtes Unternehmen“ nannte. Das Ehepaar Hell habe damals sein gesamtes Vermögen in die Gründung und den Aufbau der Schule gesteckt. „Wer würde heute noch in eine Schule dieser Ausrichtung investieren!“ Eine gemeinsame Anstrengung wie damals die der Eheleute Hell habe er auch beim Ehepaar Rainer und Andrea Wetzler feststellen können, sagte Palm.

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Von Anbeginn an sei Urspring ein Experiment gewesen, und bis heute spüre man in Urspring den „unbedingten Willen, das Experiment zum Erfolg zu führen.“ In der Auseinandersetzung mit Knappheit und Widerstand, so Palm, lägen bis heute die wesentlichen Antriebskräfte für das Projekt.

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Namens des Stiftungsrats dankte Palm allen, die zum Gelingen dieses Projekts beigetragen haben und beitragen, namentlich den Eltern und Lehrern („Für mich machen gute Pädagogen einen Unterschied im Leben von Menschen!“), dem Alturspringbund (AUB), der Liesel-Müller-Hermelink-Stiftung und der Geschwister-Gaß-Stiftung, und erinnerte an die früheren Leiter von Urspring. Diese hätten eine „Einheit in Vielfalt“ geschaffen. Dr. Rainer Wetzler stehe in dieser Tradition und trage nun eine „besondere Verantwortung“. „Ich freue mich, dass sie ,ja‘ gesagt haben“, sagte Palm an Rainer Wetzler gewandt und dankte auch dessen Mitstreitern, Internatsleiter Daniel Leichtner und Wirtschafts- und Betriebsleiter Hans-Martin Meth, „für ihr Vertrauen und beispielgebendes Engagement für Urspring.“

Angstgegner Urspring

Für das Regierungspräsidium Tübingen sprach sodann Regierungsdirektor Dr. Stephan Podes in Vertretung seiner „Abteilungspräsidentin“ Dr. Pacher. Podes begann seine Rede mit persönlichen Erinnerungen an seine Lehrtätigkeit. Urspring sei schon damals der Angstgegner im Basketball, das Zusammentreffen mit Urspring jedes Mal Endstation seiner Schulmannschaft gewesen. Anschließend umriss Podes das Aufgabenfeld und den Gestaltungsspielraum des neuen Vorstands aus Sicht der Schulaufsichtsbehörde, sprach über „Berührungsflächen“ zwischen den privaten Schulen und der Schulaufsichtsbehörde und nutzte die Gelegenheit, ein Lieblingsthema grün-roter Schulpolitik anzuschneiden, die sogenannte 2/3-Regelung. Die erfordere, dass mindestens zwei Drittel der in einer Privatschule eingesetzten Lehrkräfte das zweite Staatsexamen besitzen müssten. Als private Schule sei auch Urspring an diese Regel gebunden, mahnte Podes und äußerte abschließend den Wunsch, Wetzler möge in seinem neuen Amt „weniger als Unterrichtsverwalter, sondern mehr als Unterrichtsgestalter hervortreten.“ Er, Podes, sei zuversichtlich, dass Dr. Wetzler erfolgreich sein werde.

Wissen und Werte

Einen Vergleich mit Erich Kästners Roman „Das fliegende Klassenzimmer“ zog Schelklinges Bürgermeister Ulrich Ruckh in seiner Rede. Darin vermittelt einer der Protagonisten, der Hauslehrer Dr. Johann Böckh, genannt „Justus“ (= Der Gerechte), nicht nur Wissen, sondern auch Werte. Was heißt „ein gelingendes Leben?“, fragte Ruckh in Anspielung auf die Aussage Rainer Wetzlers (im Interview mit dem Urspringblog), Schule solle auf „ein gelingendes Leben“ vorbereiten.

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Ohne seine Frage abschließend zu beantworten, betonte Ruckh, an Wetzler gewandt: „Sie werden bei mir für Ihre Anliegen immer ein offenes Ohr haben.“ Der Schelklinger Bürgermeister schloss seine Rede mit dem Wunsch, Stadt und Schule sollten noch mehr zusammenwirken, sodass Urspring mehr noch als bisher als Bereicherung empfunden werde.

Verlässliche finanzielle Basis

„Auch vor der Urspringschule machen Veränderungen nicht Halt“, begann Karl Traub, Mitglied des Landtags und des Kreistags des Alb-Donau-Kreises, seine Rede, sprach vom Balanceakt „zwischen Tradition und Innovation“ und dass „Führung“ durch die Schulleitung in Zukunft immer wichtiger werde. Daher, so Traub, müsse die Schulleitung gestärkt werden. Traub forderte eine „Kultur der Wertschätzung“. Zu dieser gehöre eine „ganzheitliche Erziehung“, und die bedeute Persönlichkeitsentwicklung und Wissensvermittlung. Schulen seien „Produktionsstätten der Menschlichkeit“. Dr. Wetzler bringe alle Eigenschaften mit, die für den Schulleiter einer privaten Schule notwendig seien.

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Allerdings benötigten Privatschulen eine „verlässliche finanzielle Basis“. Daran habe es in der letzten Zeit „etwas gehapert“, kritisierte der CDU-Politiker. Auch Privatschulen müssten zukünftig mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet sein. Dazu müsse das Bruttokostenmodell weiterentwickelt werden, damit endlich ein Kostendeckungsgrad von 80 Prozent erreicht werde, forderte Traub, um dann zu betonen, er wolle Wetzler und der Urspringschule stets „ein verlässlicher Partner“ sein. Dem neuen Schulleiter sei „eine sehr verantwortungsvolle und wunderbare Aufgabe übertragen worden. Meine besten Wünsche dazu!“

Toleranz und Offenheit

Pfarrer Thomas Holm, Schuldekan der Evangelischen Dekanatsämter Ulm und Blaubeuren, nutzte sein Grußwort, um auf die bedeutungsvolle Rolle von Religion und Kirche im Schulleben einzugehen. Bereits eingangs hatte Holms Namensvetter Thomas Palm erklärt, der evangelische Religionsunterricht in Urspring „sei keine kirchliche Unterweisung, sondern Element der Kultur“. Das in Urspring gelebte ganzheitliche Erziehungskonzept „sei ganz im evangelischen Sinn“, lobte Holm und pries sodann „Toleranz und Offenheit der Evangelischen Kirche“. Diese zeige sich etwa daran, dass der evangelische Religionsunterricht in Urspring auch für Nichtevangelische obligatorisch sei. Das bedeute „Freiheit und Toleranz auf der Basis eines festen Glaubens.“

Mit Blick auf Wetzler sprach Holm von einer „herausfordernden Aufgabe“, er wünsche ihm eine „glückliche Hand, Kreativität und einen langen Atem.“

„Sie machen Urspring zu einem besonderen Ort“

Als Vorsitzender der Elternpflegschaft der Urspringschule lobte Björn Czmok Dr. Wetzlers „Tatendrang“ und „unermüdlichen Einsatz“ sowie seine „professionelle und besonnene Art“. Dr. Wetzler, der die Urspringschule seit rund einem Jahr leite, habe ihr in dieser Zeit eine neue Struktur gegeben und viele Projekte gestartet. Schon heute habe er „sehr viel dazu beigetragen, dass Urspring eine besondere Schule“ sei.

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Auch Cmok wünschte Wetzler „immer eine glückliche Hand.“ „Wir glauben“, sagte er für die Schülereltern, „Sie machen Urspring zu einem besonderen Ort. Dafür wollen wir Ihnen von Herzen danken.“

Reaktionen aus europäischen Städten  

Unterbrochen wurde der Reigen lobender Reden durch eine von Monika Radermacher moderierte Sondersendung des bislang unbekannten Fernsehsenders Urspring TV.

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Die Sendung dokumentierte, begleitet durch den Urspringer Projektchor, den privaten und beruflichen Werdegang Wetzlers mit vergnüglichem Bildmaterial aus dessen Leben und berichtete „live“ aus mehreren Städten Europas über Reaktionen zu Wetzlers Amtseinsetzung. Als „Korrespondenten“ fungierten Kollegen der Partnerschulen im Erasmus+-Programm der Europäischen Union, die Gruß-Videos aus Bushey (GB), Tartu (Estland), Waregem (Belgien) und Budapest (Ungarn) geschickt hatten. Auch das Interview mit einem Social-Media-Experten (Oliver Jung) unterstrich den Live-Charakter der Sendung.

„Weder Schüler dirigieren noch Kollegen gängeln“

In seiner Antwort auf die Grußworte seiner Vorredner ging Rainer Wetzler auf das ein, was er als „Urspringpädagogik“ bezeichnete. In deren Mittelpunkt stehe, „Schülerinnen und Schüler auf ein gelingendes Leben vorzubereiten“. Wie dies konkret auszugestalten sei, „darüber“, so Wetzler, „will ich mit Ihnen allen fruchtbar streiten.“ Er sehe sich dabei „weder als Zirkusdirektor noch als Löwendompteur“, zitierte Wetzler seine eigenen Worte aus dem bereits erwähnten Urspringblog-Interview.

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Die Funktion des Schulleiters bezeichnete Wetzler als einen Beruf, nämlich den, Urspring in eine tragfähige Zukunft hineinzuführen, der freilich Elemente der Berufung enthalte. Er wolle weder Schüler dirigieren noch Kollegen gängeln. Allerdings bedürfe es einer Leitlinie der Qualitätsentwicklung. „Will Urspring nun ein Eliteinternat werden?“, fragte Wetzler, um darauf mit einem paraphrasierten Zitat aus seinem Urspringblog-Interview zu antworten: Man müsse täglich beweisen, dass man auf dem Platz, auf den man gestellt werde, das Beste bringe. Wer jedoch glaube, Elitenbildung korreliere hoch mit Leistung, der irre gewaltig. Nach den soziologischen Analysen von Pierre Bourdieu hänge Elite von gesellschaftlichen Präfaktoren wie Herkunft, Vorbildung und Position der Eltern, finanzieller Potenz usw. ab. „Wetzler wörtlich: „Wenn man auf Elite setzt, verschenkt man viel Potenzial.“

Als seine kurzfristigen Ziele nannte Wetzler:
– eine schnellere Internetverbindung für Urspring
– die Intensivierung der Alumniarbeit
– die Instandsetzung der schuleigenen Turbine zur Nutzung von Wasserkraft
– die Sanierung der Klosteranlage

Im Anschluss an seine Rede holte Rainer Wetzler die beiden anderen Mitglieder des Leitungs-„Triumvirats“, Wirtschafts- und Betriebsleiter Hans-Martin Meth und Internatsleiter Daniel Leichtner, nach vorne und präsentierte sich gemeinsam mit ihnen dem Publikum.

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Ex-„Kuddelmuddel“ spielt auf … 

Danach gab es noch eine echte Überraschung, auch und vor allem für Rainer Wetzler. Inge Banholzer, stellvertretende Schulleiterin, hatte die Mundart-Band zusammengerufen, die Wetzler vor 34 Jahren unter dem Namen „Kuddelmuddel“ (später „Bäckers Debakel“) gemeinsam mit Freunden gegründet hatte.

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Die Jungs von früher, die heute unter dem gediegeneren Namen „Festtagsmusik“ auftreten, drückten dem nun offiziell  gekürten Schulleiter und Vorstand eine Gitarre in die Hand, und dann musizierten und sangen die optisch nur unwesentlich Gealterten gemeinsam fast so frisch und fröhlich wie in alten Tagen.

Beruf und Berufung gestern und heute

Beschlossen wurde der Festakt mit der Bitte um „Gottes Segen“ (den hatten auch die Vorredner herbeigewünscht) durch Pfarrer Siegfried Fischer, Schulseelsorger und Lehrer der Urspringschule. Fischer griff den von Dr. Wetzler betonten Unterschied zwischen den Begriffen „Beruf“ und „Berufung“ auf und verglich die Ausdeutung des letzteren heute und im Alten Testament. Konkret ging er dabei auf den Fall Gideon im Buch der Richter ein.

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„Bin ich denn der Richtige?“, hatte Gideon gefragt, nachdem ihn „Boten Gottes“ berufen hatten, die Israeliten als Heerführer vom Joch der Midianiter zu befreien. Infolge seiner Zweifel habe Gideon Gott zweimal gebeten, ihm den göttlichen Auftrag per Zeichen zu bestätigen, erläuterte Pfarrer Fischer. (Als diese Zeichen erschienen, soll Gideon auf göttliche Anweisung den Altar und die Kultsäule des Baal-Kultes niedergerissen haben. So jedenfalls steht es in der Bibel.)

Nach dem Festakt betand Gelegenheit, im Blue Chili bei einem Imbiss und Getränken miteinander ins Gespräch zu kommen und sich über die Eindrücke der letzten beiden Stunden auszutauschen.

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Fotos: B. Göhring u. M. Witzel

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