Unter dem etwas umständlichen Titel ,,Krieg gegen den Terror, Islamischer Staat (IS) und Flüchtlingskrise. Kommt der Terror nun zu uns?“ hielt der deutsch-iranische Politologe Dr. Ali Fathollah-Nejad von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Berlin, am 15. Januar 2016 einen Vortrag vor Schülern und Lehrern der Urspringschule. Die Umständlichkeit des Titels sei der Komplexität der Materie geschuldet, betonte der Referent, der auch an der Freien Universität Berlin lehrt und seit Jahren regelmäßig Fachartikel zu außenpolitischen Themen in internationalen Medien publiziert. Im Rahmen seiner eineinhalbstündigen Ausführungen ging Fathollah-Nejad ausführlich auf die Zusammenhänge ein, die den nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush proklamierten „Krieg gegen den Terror“ und jüngere politische Entwicklungen wie die Entstehung des sogenannten Islamischen Staates oder auch die aktuelle Flüchtlingskrise in Europa zu einer komplexen außen- wie innenpolitischen Problematik verflechten. Dabei bezog der Referent seine jugendlichen Zuhörer geschickt in seine Ausführungen ein, stellte Fragen, die sein Publikum beantworten konnte, und ermunterte dieses zum Nachfragen. Dabei gelang es ihm, die komplexen inhaltlichen Zusammenhänge in einer Weise darzustellen, dass sie auch für Schüler und Nicht-Experten verständlich wurden. „Was macht die Region im Mittleren Osten – alles früher britisches Kolonialreich – aus?“, fragte der Politologe seine Zuhörer. Ölfelder und der Islam, das wussten die meisten. „Ohne Erdöl funktioniert gar nichts, es spielt eine handfeste Rolle in der Weltpolitik“, erklärte Fathollah-Nejad. Er sprach von einem Deal des Westens mit den Ölstaaten – Waffen gegen Erdöl, wobei man mit so menschenverachtenden Regimen wie Saudi-Arabien eng kooperiere.
Nach den Anschlägen des 11. September 2001 habe eine Militärkoalition unter Führung der USA zunächst Afghanistan angegriffen, obwohl die Attentäter aus Saudi-Arabien stammten, und habe dann unter Bruch des Völkerrechts den von Saddam Hussein regierten Irak überfallen – unter dem erlogenen Vorwand, er verfüge über Massenvernichtungswaffen und kooperiere mit Al-Qaida. Gleichzeitig habe man eine „Achse des Bösen“ konstruiert, der alle Länder angehören sollten, deren Regierungen den USA nicht genehm waren. „Was waren nun aber die Konsequenzen dieses angeblichen Antiterrorkriegs?“, fragte der Referent. Die Antwort kam prompt: Leid, Zerstörung, Elend, selbst Folter, und die Destabilisierung einer ganzen Weltregion. „Die Invasion im Irak war der Sündenfall, die ,Erbsünde‘. Das muss man begreifen, wenn man alles Weitere verstehen will!“
Nachdem die USA die irakische Armee aufgelöst hatten, hätten sich Milizen gebildet, denen sich viele ehemalige Soldaten und Offiziere angeschlossen hätten. Damals sei auch Al-Qaida im Irak entstanden, aus der schließlich der IS hervorgegangen sei. Die USA und der Iran hätten die schiitisch dominierte Regierung Maliki unterstützt: In der Folge sei es zur Entfremdung der Sunniten von der Zentralregierung gekommen, von denen manche im IS eine Art „Schutzmacht“ gegen die schiitische Dominanz sahen. ,,Der Ursprung des IS liegt in dem Krieg der USA gegen den Irak“, betonte der Referent. „Man hat ein System aufgebaut, in dem Schiiten mehr zu sagen hatten. Die Sunniten hatten nicht mehr die gewünschte Teilhabe: Der Krieg gegen den Terrorismus hat mehr Terrorismus produziert“, befand Fathollah-Nejad.
Ein anderer Grund für das Erstarken des IS sei der Bürgerkrieg in Syrien und die Politik des Westens, vor allem der USA, gegenüber dem Iran und Syrien mit dem Ziel eines Regime Change. Den Bürgerkrieg in Syrien bezeichnete er als Folge des arabischen Frühlings. Der zunächst friedliche Aufstand wurde blutig niedergeschlagen. „Radikale sunnitische Gruppen entstanden, die der Westen anfangs gewähren ließ“, so Fathollah-Nejad. Zu Beginn habe der Westen den IS toleriert nach dem Motto: der Feind meines Feindes ist mein Freund. Der ,,Krieg gegen den Terror“ habe so genau das Gegenteil von dem bewirkt, was die USA vor mehr als zehn Jahren als ihr Ziel ausgegeben hätten, urteilte Fathollah-Nejad. Um die Radikalisierungsprozesse zu verstehen, die die Menschen in die Arme des Islamischen Staates treibe, müsse man das militärische Vorgehen des Westens im Nahen Osten hinterfragen. Terroranschläge wie jene in Paris dagegen müssten in einem europäischen Kontext betrachtet werden. Mangelhafte Integration sowie die soziale Ausgrenzung von Migranten, wie etwa in Frankreich und Belgien, stellten einen „Nährboden des Terrors“ dar. „Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit fördern den Radikalisierungsprozess unter Muslimen“, sagte der Experte.
Zur deutschen Flüchtlingspolitik erklärte er, dass das Grundgesetz als Folge der Nazizeit ein Recht auf Asyl vorschreibt. Man befinde sich, so Fathollah-Nejad, in der tiefsten politischen Krise der Nachkriegszeit angesichts der zunehmenden rechten Tendenzen in ganz Europa. Eine Obergrenze bei den Flüchtlingszahlen, wie manche forderten, sei mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren. Abschließend forderte Fathollah-Nejad ein grundlegendes Umdenken in der deutschen Außenpolitik, insbesondere der Nahostpolitik der Bundesregierung, sowie „eine Neudefinition dessen, was unsere, was deutsche und europäische Interessen sind.“
[Stimmen zum Vortrag finden Sie hier.]